In Neidenstein befand sich eine der größten und prächtigsten Landsynagogen Badens. Sie wurde im Jahr 1831 erbaut und mehr als 100 Jahre als Gotteshaus genutzt. Während der Reichspogromnacht wurde die Inneneinrichtung demoliert, das Gebäude selbst trug jedoch kaum Schäden davon. Ein ortsansässiger Landwirt erwarb im Jahr 1939 das Gebäude, trug den vorderen Teil ab und nutze das Anwesen fortan als Scheune. Das kulturgeschichtlich bedeutsame Bauwerk, in dessen Inneren Spuren der früheren Nutzung als Synagoge erhalten sind, befindet sich auch heute noch in Privatbesitz und ist dem zunehmenden Verfall preisgegeben.
Die Geschichte der Juden Neidensteins beginnt im 17. Jahrhundert, in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Fortan entwickelte sich eine der größten jüdischen Gemeinden Badens. Zahlen verdeutlichen diesen Sachverhalt. Im Jahr 1842 erreichte die jüdische Gemeinde mit 281 Personen ihren Höchststand. Auch der Anteil an der Gesamtbevölkerung war im 18. und 19. Jahrhundert immer sehr hoch und erreichte im Jahr 1789 mit 33,6 % den höchsten Wert. Um diese Zahlen einschätzen zu können, sei darauf verwiesen, dass sich im Jahr 1808 der Anteil der Juden an der Geamtbevölkerung Badens auf 1,5 % belief. Antijüdische Ausschreitungen oder andere Formen der Feindseligkeiten zwischen den Konfessionen sind für die Zeit vor der nationalsozialistischen Herrschaft nicht überliefert. Juden galten in Neidenstein als anerkannte und respektierte Mitbürger, die gänzlich ins Gemeindeleben integriert waren.
Die Synagoge im NationalsozialismusDie steigende Zahl der Gemeindemitglieder erforderte den Neubau einer größeren Synagoge, der um das Jahr 1820 beschlossen wurde. Gemeindeinterne Unstimmigkeiten und ungeklärte Fragen der Finanzierung verzögerten den Bau, der schließlich im Jahr 1831 erfolgte und noch im gleichen Jahr zum Abschluss kam. Das Gebäude, das im heutigen Kirchgraben 6 entstand, zählte zu den größten Landsynagogen in Baden. Die hohe Bedeutung des Bauwerks verdeutlicht sich auch dadurch, dass für Renovierungsarbeiten, die um das Jahr 1930 vorgenommen wurden, mit Siegfried Seidemann ein damals bedeutender Architekt gewonnen werden konnte, der zuvor schon die großen Synagogen in Mannheim und Heidelberg umgebaut hatte.
In der Reichspogromnacht wurden die Inneneinrichtung und Teile der Decke zerstört, das Inventar geraubt und vernichtet. Der vollständigen Zerstörung entging die Synagoge, da Nachbarn sich gegen die beabsichtigte Inbrandsetzung wehrten. Sie befürchteten, das Feuer könne auf ihren Besitz übergreifen.
Im Jahr 1945 wurde die ehemalige Synagoge beschlagnahmt und der Jewish Restitution Successor Organization übergeben, die im Jahr 1951 ihren Anteil von einem Drittel an den Landwirt verkaufte, welcher das Gebäude im Jahr 1939 erworben hatte. Damit waren die Besitzverhältnisse definitiv geklärt. Seit längerer Zeit wird das Gebäude nicht mehr genutzt, ist dem zunehmenden Verfall preisgegeben und teilweise in baufälligem Zustand.
Kulturgeschichtliche Gründe sprechen eindeutig für eine Erhaltung des Gebäudes. Schon im Jahr 1998 wurde im Rahmen einer Diplomarbeit am Fachbereich Architektur der Fachhochschule Detmold ein Konzept zur Bewahrung und Nutzung des Gebäudes als Gedenk- und Dokumentationsstätte ausgearbeitet. Konkrete Maßnahmen zum Erhalt, die immer dringlicher werden, unterbleiben aber seit Jahren.Mehrere Besichtigungen des Gebäudes ergaben, dass trotz der langen zweckenfremdeten Nutzung und des mittlerweile prekären Zustands deutliche Spuren zu erkennen sind, die von der prachtvollen Vergangenheit zeugen. So wies beispielsweise Prof. Dr. Annette Weber von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg anlässlich einer Begehung auf reichlich erhaltene Reste der Wandbemalung mit verschiedenen Motiven sowie verschiedene Gesimse hin. Außerdem sind die Rundbogenfenster erhalten, die zugemauert wurden. Darüber hinaus weisen verschiedene Indizien darauf hin, dass sich unterhalb des Bauwerks eine Mikwe – ein rituelles Tauch- oder Frauenbad – befand, welche vermutlich anlässlich der landwirtschaftlichen Nutzung der ehemaligen Synagoge zugeschüttet worden war. Sollte dies zutreffen, würde das Gebäude über eine bemerkenswerte kulturgeschichtliche Besonderheit verfügen, da nur sehr wenige Mikwen im Kraichgau erhalten sind.